Was ist Soziale Angst?

Menschen sind stark sozial orientierte Lebewesen, sie streben stets danach, soziale Beziehungen einzugehen. Wir erklären uns das heute überwiegend aus einer evolutionären Sichtweise heraus. Die Zugehörigkeit zu sozialen Beziehungen und das Leben in Gruppen sicherte das Überleben. Innerhalb einer Gruppe ist der Nachwuchs besser geschützt, man kann sich gegenseitig unterstützen und man kann leichter Partner für die Fortpflanzung finden. Insbesondere die Beziehung zu den Eltern ist eine besondere soziale Beziehung, denn die Eltern sind die ersten relevanten Modelle, also Vorbilder, von denen der Nachwuchs lernt.

 

Auch wenn Menschen sich weiterentwickelt haben, steckt der ursprüngliche Instinkt, mit anderen Menschen soziale Beziehungen eingehen zu wollen, immernoch in uns. In der Psychotherapie sprechen wir vom Bedürfnis nach Bindung. Beim Beziehungsaufbau und der Beziehungspflege wirken verschiedene Mechanismen. Eltern zum Beispiel neigen dazu, sich um Kinder zu sorgen und ihnen Vorbild für verschiedene Lebensbereiche sein zu wollen. Kinder streben danach, wahrgenommen zu werden und Anerkennung durch die Eltern für ihre Leistung zu erhalten. Gegenüber anderen Menschen außerhalb der Familie neigen wir ebenfalls dazu, attraktiv, leistungsstark oder sympathisch wirken zu wollen, um so Bekanntschaften, Freundschaften und Partnerschaften eingehen zu können.

 

Ein Problem kriegen Menschen dann, wenn ihr Versuch, mit anderen Menschen soziale Beziehungen einzugehen, scheitert und das Bedürfnis nach Bindung damit frustriert wird. Das Scheitern erleben Menschen als höchst aversiv. Wenn wir von anderen zurückgewiesen werden, wenn wir uns isoliert fühlen oder das Gefühl haben, bei anderen nicht gut anzukommen oder sie zu enttäuschen, empfinden wir dies als sehr unangenehm.

 

Weil wir Menschen auch gute Problemlöser sind und wir Probleme vor allem durch Nachdenken lösen, entwickelt unser Verstand schnell Ideen, warum wir mit anderen Menschen keine sozialen Beziehungen eingehen können. Sehr häufig beziehen wir die vermeintlichen Gründe hierfür auf uns. Wir entwickeln schnell die Vorstellung, etwas an uns könnte der Grund dafür sein, dass Beziehungen zu anderen Menschen nicht so eingegangen werden können, wie wir uns das wünschen. Im Detail neigen wir dann dazu, uns für unattraktiv, leistungsschwach oder ähnliches zu halten. Wir werden unsicher und glauben, andere zu enttäuschen oder uns lächerlich oder peinlich zu verhalten. Wir entwickeln sog. negative Grundannahmen über uns selbst.

 

Wenn wir nun mit diesen negativen Grundannahmen doch mal wieder in eine soziale Situation kommen, versuchen wir natürlich, nun doch irgendwie einen guten Eindruck bei den anderen zu hinterlassen. Unser Verstand schaltet dann wieder schnell in den Problemlöse-Modus und versucht, das, was unserer Meinung nach potenziell unattraktiv, lächerlich oder peinlich ist, möglichst zu vermeiden oder zu kontrollieren.

 

Paradebeispiel ist der Vortrag: Wenn wir die neg. Grundannahme entwickelt haben, unattraktiv zu sein oder Aufgaben nicht hinkriegen zu können und wir nun vor Anderen einen Vortrag halten müssen, besteht die Gefahr, dass wir genau in diesen Annahmen bestätigt werden und uns dann selbst davon überzeugen, dass wir tatsächlich von anderen sozial abgelehnt werden - was wir als soziale Wesen ja eigentlich nicht wollen. Wir wollen ja sozial angebunden sein.

 

Der Verstand nimmt die soziale Situation "Vortrag vor anderen halten" jetzt also als bedrohlich wahr und reagiert - wie es bei Bedrohungen und Gefahren auch sein soll - mit Angst. Wir entwickeln Körpersymptome, bei sozialer Angst häufig das berühmte Erröten, aber auch Herzrasen, Zittern, Unruhe und Schwitzen. Diese körperliche Veränderung nehmen wir wahr und interpretieren sie wiederum als zusätzlich bedrohlich in der sozialen Situation. Wir versuchen sie nun so gut es geht zu kontrollieren. In der Psychotherapie sprechen wir von Sicherheitsverhalten: Wenn wir beim Vortrag zittern, halten wir uns vielleicht an einem Blatt Papier fest oder stecken die Hände in die Hosentasche. Wenn wir nicht wissen, was wir sagen sollen, bereiten wir uns im Kopf schon vor und entwickeln z.B. Sätze, die wir dann aussprechen wollen.

 

Dieses Sicherheitsverhalten sorgt meist für noch mehr Anspannung und Aufregung. Denn anstatt sich auf das eigentliche Thema, den Vortrag, zu konzentrieren, liegt die Aufmerksamkeit nun darauf, wie man rüberkommt, ob man auch bloß nichts Peinliches macht und auf jeden Fall nicht negativ auffällt. Dadurch kann es aber zu einem Überforderungserleben kommen, das leider tatsächlich eine schlechte Leistung nach sich ziehen kann, was maximal ungünstig für die betroffene Person ist. In der Folge fühlt sie sich dann nämlich in ihrer Grundannahme, nicht leistungsstark zu sein oder Fehler zu machen und deshalb von anderen nicht gemocht zu werden, bestätigt.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung sozialer Angst umfasst verschiedene Teilaspekte. Ausgehend von der beschriebenen Vorstellung, warum jemand eine soziale Angst entwickelt, versucht man, an mehreren Punkten anzusetzen:

 

Zunächst werden die negativen Grundannahmen aufgegriffen und kognitiv disputiert, beispielsweise mittels ABC-Modell und sokratischen Dialog. Es stehen die Fragen im Raum, ob man tatsächlich unattraktiv oder leistungsschwach ist, welche Beweise es dafür gibt, ob es nicht auch Gegenbeweise geben und man alles auch von einer anderen Perspektive aus betrachten kann. Selbst wenn man auf andere unattraktiv wirken sollte, was ist daran so schlimm? Muss man immer und auf jeden attraktiv wirken? Macht es nicht mehr Sinn, sich auf andere Dinge zu konzentrieren?

 

Darauf aufbauend versucht man, korrigierende Erfahrungen zu machen. Dies wird meist durch Verhaltensexperimente erreicht: Man überlegt sich eine soziale Situtaion, beispielsweise Essen gehen in einem Lokal, und notiert sich die Befürchtungen, die einem durch den Kopf gehen, z.b. "alle werden mich anstarren und zusehen, wie ich esse". Dann geht man tatsächlich Essen und schätzt hinterher ein, ob diese Befürchtung wirklich so zugetroffen hat, wie vorher angenommen.

 

Weiterer wichtiger Punkt ist die Steuerung der inneren Aufmerksamkeit durch Achtsamkeit und das Unterlassen von Sicherheitsverhalten. Sicherheitsverhalten kostet ja, wie oben beschrieben, zusätzlich viel Energie. Die Betroffenen sollen stattdessen lernen, ihre Aufmerksamkeit wegzulenken von der inneren Anspannung und der Frage, wie man auf andere wirkt, hin zum eigentlich Thema der sozialen Situation. Wer z.b. einen Vortrag halten muss, der soll lernen, sich auf den Inhalt des Vortrags zu konzentrieren, und nicht auf die zitternden Hände. Wer essen geht im Lokal, soll sich darauf konzentrieren, ob das Essen lecker ist, und nicht darauf, ob andere ihm beim Essen zusehen könnten.

 

Dabei lernt man auch, dass es im Grunde egal ist, was andere über einen denken, dass man trotz möglicher peinlicher Verhaltensweisen ein attraktiver, leistungsstarker und angesehener Mensch ist und dass man nicht mit allen Menschen gute Beziehungen pflegen muss, sondern sich auch auf wenige, dafür aber gute und vertrauensvolle Beziehungen konzentrieren kann. Wer an diesen Punkt kommt, der überwindet die Soziale Angst und lernt mit der Zeit, selbstsicherer zu werden.